Der Texttreff ist das Netzwerk wortstarker Frauen. Dort habe ich auch Carmen Winter getroffen, die als Autorin auf jeden Fall wortstark ist. Sie hat mir meine Fragen zu ihren Schreibwerkstätten für Kinder und Jugendliche beantwortet:
Ein paar Worte zu dir, liebe Carmen: Was arbeitest du, was begeistert dich – auch unabhängig von Schreibwerkstätten?
Seit August 2015 arbeite ich 30 Stunden pro Woche hier in Frankfurt (Oder) in der Volkshochschule für das Projekt Grundbildungszentrum. Da geht es um die Alphabetisierung von deutschsprachigen Erwachsenen. Vorher war ich fast 18 Jahre freiberufliche Autorin. Schreibend, lesend und mit vielen Projekten habe ich mein Geld verdient. Ich bin froh, dass ich neben der Festanstellung noch etwas Zeit zum Schreiben und für Schreibwerkstätten habe.
Ich bin gern in meinem Garten und ich lese natürlich gern. Meinem Partner, meinen Kindern und Enkeln und meiner hochbetagten Mutter gehört die restliche Zeit.
Wo und in welchem Rahmen bietest du Schreibworkshops für Kinder und Jugendliche an? Für welche Altersgruppe?
Ich habe schon in Schulen und in Kitas (da waren es dann Erzählwerkstätten) mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet. Auch an so ungewöhnlichen Orten wie ehemaligen Konzentrationslagern.
Derzeit arbeite ich mit einer Gruppe von sechs Achtklässlern und mit drei Mädchen, die die 11. Klasse besuchen, in meiner Schreibwerkstatt „Sankt Spiritus“ hier in Frankfurt (Oder). Wir treffen uns 14-tägig immer donnerstags für anderthalb Stunden.
Im Herbst wird hoffentlich wieder eine Werkstatt „Text und Musik“ gemeinsam mit Schreibende Schüler e. V. und jungen Komponisten stattfinden. Die haben wir einige Jahre lang immer zu Pfingsten in der Musikakademie in Rheinsberg angeboten. Jetzt soll sie im Oktober in Polen, in Kreisau sattfinden.
Gibt es eine Lieblings-Übung, die immer wieder besonders gut ankommt?
Ich mache sehr gern als Einstig das automatische Schreiben. Und ich gehe gern mit den Teilnehmern und Teilnehmerinnen 25 Minuten vor die Tür. Wir achten dann je 5 Minuten auf alles, was wir sehen, hören, riechen, schmecken und fühlen können, machen uns auf einem kleinen Zettel ganz wenige Notizen und schreiben danach einen von diesen Sinneseindrücken inspirierten Text.
Hast du Tipps für Einsteiger, die neu als Schreibgruppenleiter anfangen wollen? Wie kommt man an Gruppen?
Ich hatte, als ich anfing, Schreibwerkstätten anzubieten, das Glück, von einem Kollegen eine bestehende Gruppe übernehmen zu können. Das war ungefähr im Jahr 2000. Ich würde auch immer empfehlen, sich mit anderen zusammenzutun. An einer Kunstschule Kurse anzubieten oder mit einem Verein zusammenzuarbeiten, der sich für Kunst und Kultur einsetzt. Schulen freuen sich auch oft, wenn man bei ihnen Werkstätten anbietet. Allerdings habe ich mich da meist selbst um die Finanzierung gekümmert und Fördermittel beantragt.
Worauf muss man beim Vorbereiten von einzelnen Übungen bzw. ganzen Schreibworkshops besonders achten?
Was ich erst mit der Zeit gelernt habe, ist die Zeiteinteilung. Wie lange braucht man für eine Übung? Wie lange braucht man für das Vorlesen? Wann muss man eine Pause machen? Da muss man Erfahrungen sammeln und je nach Gruppengröße ist es anders.
Ich finde es wichtig, jede Übung selbst mindestens einmal ausprobiert zu haben, und wenn möglich, schreibe ich mit und lese meinen Text auch vor.
Viel Material braucht man ja zum Glück nicht. Am Anfang habe ich mir die Schreibimpulse immer aufgeschrieben. Inzwischen habe ich viel im Kopf, kann auch spontan reagieren. Ich habe einen Raum angemietet, in dem die Werkstätten stattfinden. Da ist auch immer das Material (Spiele, Wortschatzkiste, Lose, Bilder, Märchenkarten usw.) griffbereit. Nur wenn ich, wie jetzt gerade, ein Hörspiel mit den Kindern mache, brauche ich auch ein Aufnahmegerät und einen Laptop mit Audacity, dem Programm zum Schneiden und Bearbeiten der Dateien.
Längere Werkstätten, die über mehrere Tage oder ein ganzes Schuljahr gehen, bereite ich natürlich auch anders vor. Da plane ich jeden Termin. Was ich mache, hängt davon ab, welches Ziel verfolgt wird. Ob zum Beispiel ein Buch entstehen soll oder ob es um ein bestimmtes Thema wie „Text und Musik“ geht. Wenn möglich, beziehe ich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen in die Planung ein. Zumindest versuche ich, den Prozess transparent und nachvollziehbar zu gestalten. Aber viele Schreibimpulse funktionieren erst mit einem Überraschungsmoment. Dann verrate ich vorher natürlich nichts.
Was nehmen die Kinder aus diesen Schreibwerkstätten mit? Warum hältst du solche Projekte für wichtig?
Die Frage, was Kinder mitnehmen, ist schwer zu beantworten. Ich selbst habe mit 12 Jahren angefangen zu schreiben und war auch in einer Schreibwerkstatt. „Zirkel schreibender Schüler“ hieß das damals und wurde von einem Autorenpaar geleitet. Für mich ist daraus letztendlich eine lebenslange Liebe zur deutschen Sprache und zur Literatur erwachsen. Ich habe Germanistik studiert und schreibe und veröffentliche bis heute Gedichte, Kurzgeschichten und Sachbücher.
Ich hoffe, dass es den Kindern, die in meinen Werkstätten sind, ähnlich geht. Dass die Lust am Spiel mit der Sprache und am Erfinden von Geschichten in ihnen wächst. Schreiben ist eine Möglichkeit, sich mit dem Alltag auseinanderzusetzen, zur Sprache zu bringen, was einem im Kopf herumgeistert. Wenn man merkt, dass Malen, Singen, Tanzen oder Theater spielen nicht die richtigen Ausdrucksformen sind, ist es vielleicht das Schreiben – oder vielleicht auch nicht. Man muss das ausprobieren.
Ich hoffe, dass sie lernen, ausdauernd an einer Idee zu arbeiten. Dass sie lernen, gut zuzuhören und Kritik anzunehmen, denn wir kritisieren die Texte natürlich auch. Dass sie lernen, dass Talent nur ein Teil des Könnens ist und dass regelmäßiges Üben erfolgreicher macht. Und ich hoffe, dass sie lernen, einen guten Text von einem weniger guten zu unterscheiden.
Ich halte es für wichtig, dass man schon als Kind lernt, Kunst nicht nur zu konsumieren sondern auch zu produzieren und dass man die Erfahrung machen kann, welche Kunst zu einem passt, worin man vielleicht auch ein wenig talentiert ist. Das kann einem später im Leben über vieles hinweghelfen. Aber es geht ja nicht nur darum, Krisen zu bewältigen. Man lebt einfach bewusster, finde ich, wenn man eine Möglichkeit hat, sich künstlerisch zu äußern.
Außerdem ist es für Kinder, die schreiben, wichtig, Gleichgesinnte zu finden. Es sind nicht so viele und oft haben sie das Gefühl, an der ganzen Schule die einzigen zu sein, die diesem seltsamen Hobby nachgehen. Wenn sie dann in eine Gruppe Schreibender kommen, sind sie froh, Gesprächspartner zu finden, die mit ihnen auf der gleichen Welle schwimmen.
Ich glaube, dass Kunst für den einzelnen Menschen und für die Menschheit eine zunehmend wichtige Rolle spielen wird. Wenn wir weniger arbeiten oder wenn wir sehr entfremdet sind vom Produkt und Sinn unserer Arbeit, brauchen wir eine sinnvolle Betätigung. Und wir brauchen etwas, woran wir glauben können. Aber das ist ein weites Feld und eine andere Geschichte.
Ganz herzlichen Dank, liebe Carmen, für deine Antworten. Auf dass überall Kinder und Jugendliche solche wunderbaren Schreibwerkstätten genießen können!
Mehr zum Schreiben mit Kindern und Jugendlichen gibt es im Gastbeitrag von Andreas Schuster und im Artikel über meine eigenen Erfahrungen sowie in den Interviews mit Petra Plaum, Michaela Pelz, Dr. Birgit Ebbert, Jutta Wilke und Alice Grünfelder.
Wer hat noch Erfahrungen im Kreativen Schreiben mit Kindern und Jugendlichen? Ich freue mich über neue Interviewpartner!
Fotos: Carmen Winter bzw. privat
Vielen Dank für das interessante Interview. Ich leite seit fünf Jahren eine Schreibwerkstatt für Kinder und Jugendliche ab 8/9 Jahre. Fast ebenso lange veranstalte ich überregional und ehrenamtlich den ZeilenZauber-Schreibwettbewerb mit jeweils etwa 150 Kindern aus dem deutschsprachigen Raum. Mich begeistert die Arbeit, aber die Finanzierung bringt mich an die Grenzen des Machbaren.
Ich freue mich zu sehen, dass es noch andere Unermüdliche gibt.
Herzliche Grüße Andrea Maluga
Liebe Andrea,
schön, wenn dich das Interview motiviert und du vielleicht noch weitere Inspiration bekommen hast. Es gibt noch eine Reihe von weiteren Interviews (die Links stehen unten im Artikel).
Ich freue mich, wenn du Lust hast, selbst meine Fragen zu beantworten – gerne würde ich auch zu deinen Schreibwerkstätten ein Interview veröffentlichen. Wenn du magst, schreib mir an frie@skriving.de.
Viele Grüße
Maike