Interview mit Fantasy-Selfpublisher Neo Helm

Den Autor Neo Helm kenne ich ursprünglich als Kollegen aus dem Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren. Bei seinem Fantasy-Debüt durfte ich ihn als Lektorin begleiten. Netterweise beantwortet er ein paar Fragen zu seinem Schreiben und Veröffentlichen.

Bestimmt schwierig bei einer mehrbändigen Reihe, aber: Hast du einen Elevator-Pitch zu deinen Halbgott-Romanen?

Ich habe mehrere Pitches formuliert, auf die ich je nach Anlass zurückgreifen will. Den wichtigsten Pitch, den Elevator-Pitch, habe ich früh auf Social Media gepostet. Er besteht aus einem Dreier-Schritt mit Steigerung und stellt drei Charaktere vor:

„Ein Novize, der nicht weiß, dass er magische Kräfte hat. Eine Magd, die eine Amazone sein will. Ein gefallener Unsterblicher, der nach alter Größe strebt und auf Rache sinnt.“

Halbgott ist dein Debüt und du hast direkt eine Trilogie erarbeitet. Wie hast du die Bände konzipiert und beim Schreiben den Überblick behalten?

Am Anfang sollte es ein einbändiger Roman mit 700 oder 800 Seiten werden. Eine fortsetzungsfähige Geschichte zu entwickeln war von Anfang mein Ziel, weil mir das gedankliche Ausschmücken einer eigenen Fantasy-Welt so viel Spaß gemacht hat. Doch bei Seite 700 habe ich gemerkt, dass ich mich verschätzt habe und dass es wohl 1000 oder mehr Seiten werden. Da habe ich überlegt, ob das nicht eher ein Dreiteiler sein kann. Tatsächlich war eine inhaltliche Dreiteilung von Beginn an gegeben. Ich weiß nicht genau, warum. Dreier-Strukturen kennt man ja aus allen möglichen Bereichen. Ich habe weitergeschrieben und beim Schreiben immer mehr den Eindruck gewonnen, dass die Aufteilung in drei Bände funktionieren kann, auch wenn erst am Ende von Band 3 die Handlung abgerundet wird.

Das Schreiben selbst und der Überblick über die Handlung wurden durch die Wandlung vom Einteiler zum Dreiteiler nicht gestört. Weil ich vor Beginn des Schreibens im Sommer 2020 ein halbes Jahr lang den Plot ausgearbeitet hatte, kannte ich das ungefähre Ziel. Ich habe beim Schreiben sehr oft das Konzept (den Plot) angepasst – vergleichbar mit einer Kurskorrektur: Kapitäne auf See müssen ja auch täglich den Kurs korrigieren. Mal kam eine neue für mich spannende Figur hinzu. Ein Antagonist änderte sich. Jede Änderung im Plot hat zu einer Änderung des großen Ganzen geführt. Das war gelegentlich kniffelig, manchmal sogar entmutigend, weil sich die Ideen schon mal verhakten. Aber dank der Konzeptphase (Plotphase) hatte ich genug Überblick. Ich habe mir angewöhnt, das Schreiben zu unterbrechen, wenn ich mich in einer Sackgasse wähnte. Dann habe ich tage- oder wochenlang am Konzept gearbeitet. Sobald sich die Planung der nächsten Szenen wieder gut anfühlte, konnte ich weiterschreiben.

Auszug aus Schreibprogramm DramaQueenEine Sache noch: Ich habe als Jugendlicher und auch in meiner Studienzeit immer wieder geschrieben, immer nur spontan, impulsartig und ohne Plan. Ich kam in den besten Fällen nur bis Seite 80. Selbst nach der Promotion in Germanistik wusste ich noch nicht, wie man eine Geschichte beginnt, ausbaut und beendet – obwohl der ewig zitierte Aristoteles doch unmissverständlich aufgeschrieben hat, dass ein Werk der Dichtung (zählen wir doch mal die Fantasy zur Poesie, okay?) einen Anfang, eine Mitte und ein Ende hat. Klingt einfach. Doch erst nach meiner Zeit in Verlagen und später als freier Lektor, teilweise durch Fortbildungen, habe ich verstanden, wie wichtig das Plotten ist. Vor allem die Erfahrungen der Autorinnen und Autoren, mit denen ich beruflich zu tun hatte, haben mir gezeigt, dass ein Großteil des Schreibens schlicht Planung ist. Und dass es während des Schreibens auch eine Rückkehr zur Planung geben darf. Ich war überglücklich, als ich um Weihnachten 2020 herum die 80-Seiten-Hürde, an der ich früher immer zerschellt bin, überwunden hatte. Das war ein fantastisches Gefühl!

Kurz: Plotten und Planen hilft, den Überblick zu behalten. Schreiben und Planen dürfen sich beliebig oft abwechseln.

Maike: Ein wichtiger Tipp! In meinen Schreibkurse mache ich auch immer auf die zwei getrennten Phasen aufmerksam: die kreative, in denen die innere kritische Stimme erstmal auf stumm geschaltet wird, und die analytische, reflektierende. In der ersten wird Text produziert, in der zweiten wird überarbeitet. Zur nächsten Frage:

Du schilderst die Ereignisse aus mehreren Perspektiven. Wie hast du es geschafft, allen Figuren eine individuelle Stimme zu verleihen?

Feedback Testlesende Halbgott Neo Helm
Testleser-Feedback zum Halbgott

Ehrlich gesagt habe ich das vielleicht nicht immer geschafft. Mich beschäftigt diese Frage sehr. Es gibt Romane, in denen durchgehend aus einer Perspektive erzählt wird. Ich jedoch will zwischen Figuren schalten. Umso mehr muss man dann jeder Figur eine eigene Tonalität geben. Dieser Anspruch wiegt schwer. Ich kann nur sagen: Man gibt dabei sein Bestes, aber man darf auch mal weitergehen, weiterschreiben, um voranzukommen. Wenn man diesen Anspruch andauernd fühlt, blockiert das die Kreativität. In der Überarbeitung kann man noch mal schauen, ob zwei Figuren nicht vielleicht doch ein zu ähnliches Vokabular haben. Die eine Figur kann in kurzen Sätzen denken und wahrnehmen, die andere ist eloquenter oder sogar affektierter. In der Überarbeitung sieht man solche Dinge besser. Und natürlich hilft es, wenn Testleser sagen: „Hier wirken die Figuren wie aus einem Guss.“ Das alles ist nicht einfach, ich maße mir nicht an, so ein hohes Ziel erreicht zu haben. Mit sehr viel weniger bin ich zufrieden. Ich bin schon froh, dass ich mehr als 80 Seiten geschrieben habe. Ich brauchte mehr als 20 Jahre, um das zu lernen.

Wo hast du dich übers Selfpublishing informiert? Hast du Tipps für Internetseiten, Podcasts o. ä.?

Die klassische Google-Suche muss ich erwähnen, aber sie reicht natürlich nicht. Die Selfpublisherbibel fand ich hilfreich. Ich habe aber auch von den Kundinnen und Kunden, die ich als Lektor begleitete, viel gelernt. Das meiste sogar. Recht spät bin ich auf die Instagram-Community aufmerksam geworden. Bookstagrammer haben sehr viele nützliche Hinweise. Man muss sich da hineinstürzen. Hier sticht Mira Valentins Insta-Account vorbildlich heraus: Sie ist nicht nur eine begnadete Erzählerin, sie gibt unschätzbar wertvolle Tipps für Selfpublisherinnen und Selfpublisher – das ist nicht nur was für Fantasy-Leser.

Als Selfpublisher bist du für alles alleine verantwortlich. Wie hast du diejenigen gefunden, mit denen zu zusammengearbeitet hast? Im Lektorat, fürs Cover, für den Satz, …?

Dich kenne ich ja erfreulicherweise persönlich durch unsere Mitgliedschaft im VFLL. Zum Glück wusste ich, dass du Fantasy magst, und ich fand schon immer beeindruckend, dass du eine Schreibwerkstatt leitest. So habe ich eine wunderbare Lektorin gefunden! Aber natürlich geht so etwas auch ohne persönliche Kontakte: einfach über lektoren.de nach Genre oder Thema nach Expertinnen suchen.

Fürs Cover habe ich einen internationalen Wettbewerb über 99designs ausgeschrieben. Es hat sich sehr gelohnt, denn dadurch habe ich Jelena Gajic kennengelernt. Es war ungewohnt, auf Englisch über meine Ansprüche an die Covergestaltung zu korrespondieren, aber es lief sehr gut. Sie habe ich zur Gewinnerin gekürt, und sie hat das Preisgeld bekommen. Es ist gut, eine Designerin seines Vertrauens zu haben. Wenn man aber niemanden kennt, lohnt sich ein Cover-Wettbewerb sehr.

Den Buchsatz wollte ich zuerst extern vergeben, doch weil ich als Lektor auf diesem Gebiet Kenntnisse habe, habe ich selbst eine Satzversion erstellt. Zunächst war das nur ein Versuch, doch dann wollte ich es wissen. Ich habe mir fehlende Kenntnisse zusätzlich angeeignet. Ich bin zufrieden damit. Vorerst bleibe ich dabei. Dazu muss ich aber sagen, dass man, wenn man keine Kenntnisse in Sachen Layout/Satz hat, sich an kundige Anbieter wenden sollte.

Eine Sache, die ich nicht selbst lösen konnte, war die Erstellung von Landkarten. Ich habe es selbst versucht, doch meine Fähigkeiten reichen nicht dafür. Über eine persönliche Empfehlung bin auf den Illustrator Jacob Müller von „arrsome illustration“ gestoßen. Er hat mir schnell gezeigt, dass es weise war, einen hauptberuflichen Illustrator zu engagieren. Er hat stimmungsvolle Fantasykarten erstellt, und der Austausch mit ihm war sehr angenehm.

Meine Korrektorin Helga Bergers aus Gütersloh kannte und kenne ich persönlich, weil wir im VFLL sind und in derselben Stadt wohnen. Sie hat mich mit Ihrer Genauigkeit und ihrem historischen Know-how ausgezeichnet unterstützt, und ich würde jederzeit wieder bei ihr anklopfen (konkret und im übertragenen Sinn).

Was hättest du vor dem Selfpublishing gerne gewusst? Also, was möchtest du angehenden Selfpublisher*innen mitgeben?

Anfängern würde ich raten, sich früh genug über Vermarktungsmöglichkeiten zu informieren. Ich empfehle, sich um Covergestaltung, Lektorat, Korrektorat oder Illustration in Ruhe zu kümmern – und zwar bevor man mit der Bekanntmachung des Werks beginnt. Bei mir sind Korrektorat und Illustration in die Vermarktungsphase reingerutscht. Keine Katastrophe, aber es geht besser. Vermarktung in Zukunft nur noch mit freiem Kopf!

Mitgeben möchte ich allen neuen und erfahrenen Selfpublishern, was die Amazonen in meinem Roman sich gegenseitig geben: MUT! Mache es, stehe zu deiner Geschichte, gehe nach vorn!

Was liest du selbst gerade? Hast du einen Lesetipp?

Ich lese gerade Mira Valentins packende Nordblut-Reihe und Bernhard Hennens temporeiche Schattenelfen-Reihe. Hennen habe ich schon als Jugendlicher verschlungen, und er hat mir manche theorielastigen Zeiten im Germanistikstudium versüßt. Außerhalb der Fantasy lese ich Elena Fischers „Paradise Garden“.

 

Bibliographische Angaben zur Halbgott-Saga:

Autor Neo HelmHier findet ihr weitere Informationen über Neo Helm:

© Bilder: privat

Selfpublisherin J. A. Kunz hat mir auch schon Fragen zu ihrer Fantasy-Debüt (eine New-Adult-Reihe) beantwortet. Im Blog findet ihr auch noch weitere Interviews mit anderen Autor*innen:

 

 

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert