Schreibwerkstatt zu Bildern von Edward Hopper

An der Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel habe ich die Schreibwerkstatt „Fernes Licht, nahe Schatten“ besucht. Drei Tage lang haben wir zu unterschiedlichsten Impulsen Miniaturen und Skizzen entworfen. Ihnen allen gemein: Bilder von Edward Hopper als Grundlage.

Hier mein Text zu einem Bild, auf dem Hopper seine Frau Josephine malend im Auto festgehalten hat:

Jo

Jo konnte überall malen. In ihrem eigenen Atelier, in meinem in Cape Cod mit dem großen Nordlichtfenster, am Küchentisch und auf dem Beifahrersitz unseres Buick, mit dem wir an die Küste pendelten. Immer hatte sie ein paar Blätter in der Tasche, irgendwelche Stifte griffbereit, die Kladde, in der sie über mein Werk Buch führte. Jo malte bei Regen und nachts, manchmal beinahe im Schlaf. Auf alte Quittungen, Holzscheite und die Sofakissen.

Ich bin nicht wie Jo. Ich brauche mein Licht, meine Schatten, meine Leinwand, den vertrauten Geruch meiner Farben, die abgegriffenen Utensilien. Mein Blick ist immer derselbe, egal ob ich auf Häuser, Landschaften oder Menschen schaue: Alles verändert sich, nur ich bleibe ewig ich. Auch Jo war immer wieder anders für mich: Frau und Gefährtin, Konkurrentin und Stütze, Geliebte und Feind. Jeden Tag habe ich etwas Neues an ihr entdeckt, wie auf der Fahrt zum Sommerhaus, als sie die Berglandschaft durch die Frontscheibe malte. Dass sie ihren Mund leicht geöffnet hielt dabei, das hatte ich noch nie bemerkt.

Ich brauchte keine andere, ich wollte nie eine andere: Sie war mein einziges Modell, ein Leben lang.

 

Ein paar Tipps für Hopper-Impressionen: Es gibt einen Film, in dem einige Bilder nacherzählt werden (Shirley) und eine Arte-Dokumentation.

Fazit

Ich war nicht das erste Mal an der Bundesakademie, und ich werde dort auch nicht das letzte Mal gewesen sein. Eine wertschätzende Gruppenatmosphäre – in der jedoch nicht nur gelobhudelt, sondern auch konstruktiv kritisiert wurde –, eine kompetente Leitung; einfach eine intensive Erfahrung.

Nur was Tilmann Ramstedts ehemaliger Bankberater dabei auf dem freien Platz am Fenster zu suchen hatte, wird wohl für ewig ein Geheimnis zwischen Eingeweihten bleiben …

Weitere Kürzesgeschichten von mir finden sich hier im Blog:

2 thoughts on “Schreibwerkstatt zu Bildern von Edward Hopper

  1. Ja, und schön ist’s jetzt darüber schmunzeln zu können, wenn einem Bankberater in anderen Texten über den Weg laufen …

  2. Onion

    Der Bankberater war definitiv der Hidden Champion!!

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