Kurzgeschichte: Mörderisches Akrostichon

Akrostichon – das klingt wie eine Halskrankheit. Es ist allerdings ein kreativer Zeitvertreib, der viel Spaß machen kann. Man nehme ein Wort, schreibe die Buchstaben untereinander und nutze sie als Anfangsbuchstaben für neue Wörter. So kann ein kurzer Vers oder eine lange Geschichte entstehen, je nachdem, ob man nur jeweils ein Wort mit jedem Buchstaben bildet oder eine ganze Zeile. Oder man entwickelt zunächst nur einen kurzen Spruch und baut daraus eine längere Geschichte … So wie in diesem Beispiel:

Aus dem Wort Genie ergeben sich eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Mein Lieblingssatz: Gefrorene Entenbrüstchen Nerven Im Eintopf.

Und wenn sie sehr nerven, kann dabei schon mal Folgendes geschehen:

Es ist der Herd. Es liegt eindeutig am Herd. Dieses Mistding brennt mir zwar gerne die Finger an – und auch den Bodensatz am Topfboden fest – aber aufgetaut bekomme ich diese dämlichen Entenbrüste darauf nicht.

Gut, ich will mal nicht so sein, natürlich ist nicht der Herd schuld, sondern Ingeborg. Nur jemand so Impertinentes wie sie kommt auf die Idee, gefrorene Entenbrüste in eine fertige Erbsensuppe zu werfen und uns damit in die Jagdhütte zu schicken.
„Ist es bald fertig?“, ruft Kai-Ferdinand aus dem Wohnzimmer.
Klar Schatz, in zwanzig Sekunden tänzle ich nackt mit umgebundener Küchenschürze herein und serviere …
„Gleich!“, antworte ich stattdessen, damit er nicht in die Küche kommt und sieht, wie ich mit dem Kochlöffel auf die Ballen im Topf eindresche.
Ich würde sie ja ganz rausschmeißen, aber selbstverständlich erwartet Ingeborg, dass Mamas Liebling ihr gleich eine Nachricht schickt, wie es schmeckt – mit Foto natürlich. Und dann würde ich auffliegen.
Manchmal denke ich, dass ich das sowieso schon bin. Wenn ich mir ihr süffisantes Grinsen in Erinnerung rufe, mit dem sie mir den Topf in die Hände gedrückt hat, glaube ich, sie weiß von meinen Plänen.
Da geht es nicht darum, dass ich Vegetarierin bin – eine unmögliche Partnerin für den Erben des größten Wildgeflügelverarbeiters Westfalens – da geht es um mehr.
Nicht darum, dass Ingeborg sich an dem Gedanken weidet, wie ich zwischen den Entenbrüsten herumstochere und einzelne Fleischfasern sich lösen sehe, die dann auch in meiner Portion landen und von mir mühevoll herausgefischt und am Tellerrand isoliert werden müssen.

Da geht es um …

Die Küchentür klappt. Kai-Ferdinand legt von hinten einen Arm um mich. Seine Finger erinnern frappierend an die abgespreizten Flügelstummel in der Brühe vor mir. Er küsst mich in den Nacken.
„Das riecht …“, sagt er, und ich weiß schon, was jetzt kommt, denn der experimentellste Poet ist er nun wirklich nicht. „Das riecht … wie früher.“
Das soll es auch, du tumbe Nuss, denke ich und lehne mich wie haltsuchend an ihn. „Wie nett, dass deine Mutter uns versorgt hat“, ich presse meinen Hintern gegen ihn, „so bleibt uns mehr Zeit für anderes.“
Er grunzt, aber ich weiß schon, dass das ein Lachen sein soll. Wenigstens wiehert er nicht. Sein Atem klingt abgehackter. Vielleicht sollte ich das mit der Schürze doch probieren?
Kai-Ferdinands Finger gleiten unter mein Shirt.
Ich beuge meinen Kopf nach hinten, damit ich ihm ins Ohr hauchen kann. „Wir haben auch jetzt noch genug Zeit, die Entenbrüste sind noch nicht aufgetaut.“
Ich dränge Kai-Ferdinand rückwärts und zerre an seiner Hose. Rhythmisch klatscht sein Hintern dabei an die Wand, noch bevor ich Hand oder sonstwas anlegen kann. Erinnert mich an das Geräusch des Kochlöffels, mit dem ich auf die Brüstchen eingeschlagen … Stopp, nicht ablenken lassen!
Das Geräusch ändert sich, geht in ein Knirschen, Rumpeln, Krachen, Knacken über.
Dann Stille.

Ich drehe mich um.
Kai-Ferdinand liegt vor mir. Auf dem Fußboden.
Der Nagel, an dem eben noch der Elchkopf an der Wand hing, steht einsam in die Luft.
Es beginnt zu stinken. Nicht blutig-metallisch oder schlimmeres von Kai-Ferdinand, das kommt vom Herd. Die Entenbrüstchen sind nun endgültig angebrannt.
Und das Geld ist nun endgültig meins. Denn dass es ein Unfall war, wird auch der blindeste Polizist erkennen müssen. Ich wähl gleich den Notruf. Aber vorher: Danke, Ingeborg, vielen Dank für den Eintopf, auch wenn das Foto, das ich dir jetzt schicke, wohl kaum dem entspricht, was du zu sehen bekommen wolltest.

PS: Katja Angenent hat mich darauf gebracht, dass der Begriff “Genie” wegen seiner Länge und Buchstabenverteilung besonders gut zum Akrostichon-Schreiben funktioniert. Birgit Ebbert aus dem Netzwerk Texttreff hat in einem Interview in diesem Blog davon erzählt, wie viel Spaß diese Kreativübung auch Kindern macht. Beide sind übrigens liebe Netzwerk-Kolleginnen vom Texttreff, dem Netzwerk wortstarker Frauen.

Weitere Kurz- und Kürzestgeschichten findet ihr hier im Blog:

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