Selbstlektorat – Wie überarbeite ich meine eigenen Texte?

Wozu Selbstlektorat?

Warum die eigenen Texte lektorieren? Ich habe beim Schreiben doch schon das Beste gegeben! Ja, aber zu feilen gibt es noch lange etwas – und auch wenn man Testlesende oder vielleicht sogar ein professionelles Lektorat ins Boot holt, ist es gut, die eigenen Texte so geschliffen wie möglich rauszugeben, damit die Außenlesenden sich auf die tieferen, versteckteren Dinge konzentrieren können.

Beim Überarbeiten der eigenen Texte stößt man jedoch schnell auf eine Schwierigkeit: Man wird betriebsblind für die eigenen Stärken und Schwächen, unsicher, was tatsächlich großartig ist und was einer Bearbeitung bedarf. Deshalb hier ein paar Hilfestellungen, wie man ans Lektorieren der eigenen Geschichten herangehen kann. Diese und weitere Tipps erscheinen in einer Artikelreihe im Schreibnewsletter The Tempest in drei Teilen von November bis Januar. Hier ein paar Auszüge daraus:

 1. Wie gewinne ich einen Blick von außen auf meine Texte?

  • zeitlicher Abstand: Texte liegen lassen
  • formaler Abstand – all das schafft einen fremden Blick / anderen Eindruck:
    • ausdrucken – vielleicht auch erst als letzter Schritt
    • umformatieren: andere Schriftart, Schriftgröße usw.
    • laut vorlesen bzw. aufnehmen und abspielen bzw. vorlesen lassen
    • bei kurzen Texten: Sätze Wort für Wort von hinten nach vorne lesen – so kommt man Wortdrehern und Rechtschreibfehlern auf die Spur

 2. Den Inhalt lektorieren: typische Themen aus Schreibratgebern abarbeiten

  • Plot – Gibt es Handlungslöcher, unrealistische / unelegante (Auf-)Lösungen (deus ex machina)?
  • Spannung:
    • Gesamt + einzelne Szenen – Probeweise den / die ersten / letzten Satz / Sätze einer Szene bzw. den ersten / letzten Absatz einer Geschichte streichen.
    • Konflikt / Konflikt / Konflikt! – Hat die Hauptfigur ein dringendes Ziel, dessen Erfüllung Hindernisse (innere oder äußere) im Weg stehen? Bzw. haben die Hauptfiguren gegensätzliche Ziele? Steigern sich diese Konflikte im Laufe der Handlung?
  • Figuren – Sind „gute“ Figuren mit negativen Charaktereigenschaften und „böse“ Figuren mit positiven ausgestattet? Handeln die Figuren ihren Charaktereigenschaften / ihrer Welt nach logisch? Entwickeln sich die Hauptfiguren – ändern aber nicht z. B. ihre Augenfarbe?
  • Perspektive – Eingehalten? D. h.: Wird nur das geschildert, was aus der Erzählperspektive auch genannt werden kann? Beispiel Alarmsigna: Letizia sah nicht, dass er (hinter ihrem Rücken) ins Auto stieg. (Wenn aus Letizias Innensicht erzählt wird, kann sie dies nicht mitteilen – das kann nur ein außenstehender Erzähler sagen.)
  • Dialoge – Realistisch, aber nicht langweilig? Erzählen sich die Figuren nur Dinge, die sie auch tatsächlich sagen würden, nicht Dinge, die sie alle schon wissen? Sprechen sie individuell passend? Bringen die Dialoge die Handlung voran oder beleuchten sie eine Figur tiefergehend?
  • Logik:
    • Gibt es Zeit- und Ortswechsel, die nicht passen/motiviert sind?
    • Andere Logik-Beispiele: Jemand hört etwas, obwohl er zu weit weg ist. Jemand steht zweimal nacheinander auf, ohne sich wieder hinzusetzen.
  • Setting / Beschreibungen – Gibt es zu viel „tell“ statt „show“? Sprechen die Beschreibungen, die gewünscht sind, alle Sinne – nicht nur den Sehsinn – an? Passt das Setting zur Handlung? Ist es so beschrieben, dass Lesende es sich vorstellen können, aber nicht mit Details überfrachtet werden? Sind die Beschreibungen konkret oder gibt es zu viele „Konzeptwörter“ (z. B. Blume statt deren Sorte, Hund statt dessen Rasse, aber auch Freiheit oder Liebe)?
  • Tschechov-Gewehre abgefeuert / alle geöffneten Boxen zu? Ist alles, was eingeführt / erwähnt wurde, befriedigend abgeschlossen / aufgelöst?

 3. Korrektorat

Ich würde immer mit einem Korrekturlauf beginnen, damit der Blick auf den Inhalt nicht von einem Komma, das noch schnell eingefügt, und einer Schreibweise, die noch kurz überprüft werden muss, verstellt wird. Beim Korrigieren kann man sich nicht gut aufs Lektorieren konzentrieren. Und am Ende, nach der inhaltlichen und sprachlichen Überarbeitung folgt dann noch ein Korrekturgang …

  • Zeitform eingehalten? Beim schnellen Schreiben, vor allem mit Pausen zwischen den Schreibzeiten, wechselt man manchmal zwischen Gegenwart und Vergangenheit bei den Verbformen.
  • Rechtschreibprüfung nutzen – hilft z. B. auch, Namensdrehern auf die Spur zu kommen
  • Doppelte Leerzeichen tilgen
  • Dialoge korrekt ein- und ausgeleitet?
  • Gedanken- und Bindestriche korrekt unterschieden?
  • Auslassungszeichen einheitlich formatiert? (3 Punkte direkt ans Wort angeschlossen, wenn ein Wort abgebrochen wird; 3 Punkte nach Leerzeichen, wenn ein Satz abgebrochen wird)

Sprachliches Feinlektorat: typische Fallen in vielen Manuskripte

In vielen Jahren und vielen Manuskripten begegnen mir immer wieder ähnliche “Fallen”. Ich habe hier eine Reihe aufgelistet – Fortsetzung soll folgen. Nicht alles muss auf deine Schreibweise zutreffen, aber es hilft, den eigenen Schreibstil kennenzulernen und zu überprüfen, was man selbst ändern kann / möchte.

  • Redeeinleitungen: möglichst schlicht? (je nach Genre) – [“,] suchen und prüfen
  • Lieblings-Füllwörter streichen: durch „suchen“ prüfen, welche man (zu) oft benutzt und Einsatz abwägen – dafür eine eigene Lieblingswörterliste erstellen. Beispiele: genau, ja, ziemlich, so, auch, doch, letztendlich, echt, eigentlich, gar, mal, sehr, quasi, wohl, voll, …
  • Adjektive: zu viele? Vor allem mehrere hintereinander schwächen sich gegenseitig – das stärkste / individuellste auswählen. Beispiel: der große, hünenhafte, starke Mann – der Hüne
  • Subtantivitis? Gibt es Stellen, die durch eine Tätigkeit lebhafter werden könnten? Beispiel: Beim Umtopfen der Blumen waren ihre Handbewegungen durch den dicken Verband linkisch. – Als sie die Tulpen umtopfte, …
  • Passiv statt aktiv: Gibt es viele Formulierungen mit „wird / wurde“? Lebendiger wird es, wenn die Figuren aktiv handeln (wenn nicht gezielt die Sache im Mittelpunkt stehen soll). Beispiel: Das Formular wurde ihr von dem Sachbearbeiter über den Tisch zugeschoben.
  • [sein]: Gibt es viele statische Formulierungen mit “ist” oder “waren” o. ä.? Solche Sätze lassen sich oft mit Tätigkeitswörtern viel lebendiger gestalten.
  • Satzmelodie: Wechseln sich kurze und längere Satzkonstruktionen ab? Längere sind oft schwerer zu erfassen – passt gut zu Beschreibungen. Viele kurze Sätze hintereinander wirken hektisch – passt gut zu Verfolgungsszenen.
  • Namen: Tragen die Figuren passende Namen (zu Alter und Hintergrund passend)? Unterscheiden sich die Namen ausreichend? (Beide Hauptfiguren mit gleicher Silbenlänge, demselben Anfangsbuchstaben bzw. ähnlichem Klang ist anstrengend zu lesen. Beispiel: Anna und Ella oder Knut und Karl oder Hannelore und Eleonore).
  • Lieblingsgesten: Kommen bestimmte Gesten zu häufig vor? Beispiele: Schulterzucken, Achselzucken, Augenbrauen-Heben, Nicken, Seufzen, … Sollen mit solchen Gesten zusätzlich unterschiedliche Dinge ausgedrückt werden? Beispiele: zustimmendes Nicken (Zustimmung steckt in Nicken schon drin), nachdenkliches Nicken (Wie sieht das aus? Wie lange nickt jemand tatsächlich oder ist das nicht nur eine kurze Kopfbewegung?)
  • [während] suchen: Handlungen tatsächlich gleichzeitig und gleich lang?
  • [end] suchen: Verlaufsformen – wirklich gewünscht? (grollend, schmunzelnd, hochhebend, …)
  • [beginnen / anfangen, etwas zu tun] – häufig machen Figuren einfach etwas und diese Formulierung ist überflüssig
  • [plötzlich] suchen: Geschehen Dinge wirklich so unerwartet / augenblicklich? Gibt es eine bessere Ausdrucksmöglichkeit?

Literatur rund ums Überarbeiten:

http://www.andreaseschbach.de/schreiben/10punkte/10punkte.html – Plan von Autor Andreas Eschbach, nach dem er im letzten Schritt seine Texte sprachlich überarbeitet

Isa Schikorsky: Aus dem Lektorat, booksondemand – hiervon gibt es verschiedene Ausgaben:

  • 1: 50 Tipps zum Schreiben und Veröffentlichen aus 2009, ISBN 978-3837035551, Taschenbuch 10 Euro
  • 2: 50 neue Tipps zum Schreiben und Veröffentlichen aus 2018, ISBN 978-3752820089, Taschenbuch 10 Euro
  • 1 und 2 aus 2018: 978-3752820881, Taschenbuch 12,90 Euro

David Michael Kaplan: Die Überarbeitung: Wie Geschichten packender, Charaktere plastischer, Dialoge stärker und Beschreibungen anschaulicher werden, Zweitausendeins, ISBN 978-3861504436, nur noch gebraucht erhältlich

Silvia Englert: So lektorieren Sie Ihre Texte. Verbessern durch Überarbeiten: Schritt für Schritt von der Erstfassung zum fertigen Manuskript, Autorenhaus Verlag 2013, ISBN: 978-3866711051, Taschenbuch 14,95 Euro

Hans Peter Roentgen: Beim Autorennewsletter „The Tempest“ veröffentlicht er regelmäßig Beispiellektorate (https://www.autorenforum.de/the-tempest) und in seinen Bücher stellt er ebenfalls Beispiele vor, aus denen man lernen kann:

  • Was dem Lektorat auffällt, Sieben Verlag 2019, ISBN 978-3864438752, print 12,90 Euro
  • Vier Seiten für ein Halleluja, Sieben Verlag 2008, ISBN 978-3940235367, Taschenbuch 12,90 Euro

Was typische Fragen an eine Lektorin sind, davon habe ich auch schon im Blog erzählt. Als weitere Hilfestellung beim Schreiben und Überarbeiten habe ich einen Blogartikel mit Tipps für Dialoge geschrieben.

Habt ihr noch weitere Tipps fürs Selbstlektorat? Erzählt gerne in den Kommentaren davon!

 

4 thoughts on “Selbstlektorat – Wie überarbeite ich meine eigenen Texte?

  1. Elke Speidel

    Danke für die Tipps. Als alte Sachautorin kannte ich viele schon, aber von den typisch belletristischen wären mir einige nicht eingefallen, muss ich zugeben. Jedenfalls hätte ich mir die Checkliste erst mühsam zusammenstellen müssen. Besonders angenehm finde ich, dass du empfehlend und damit relativierend formulierst. Viele Schreibratgeber sind zu absolut in ihren Ansprüchen – und dadurch unbrauchbar.

    • Admin skriving.de

      Liebe Elke,
      danke – schön, dass es dir gefällt. Die Liste erweitert sich auch laufend bei meiner eigenen Arbeit …
      Für mich sind es immer Empfehlungen, denn ein Text bleibt schließlich immer das Baby der AutorInnen – und die entscheiden letztlich, was sie ändern wollen und was nicht.
      Gemäß dem bekannten Motto: Du kannst alle Regeln brechen, aber du solltest es bewusst tun (weil du sie eben kennst).
      Liebe Grüße
      Maike

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