Ein belletristischer Dialog ist kein Gespräch. Auch wenn darin suggeriert werden soll, dass sich Figuren miteinander unterhalten, tun sie das nicht wirklich. In Dialogen wird die Handlung vorangetrieben, enthüllen Figuren etwas über sich, werden Konflikte geschürt, Infos an die Lesenden vermittelt, … Es passiert also eine ganze Menge. Damit das von den Lesenden wohlwollend aufgenommen wird, ist es hilfreich, sich einmal genauer mit dem Handwerk des Dialogschreibens zu beschäftigen.
Hier meine Lieblingstipps:
1. Ein Dialog ist kein Gespräch
Vieles beim Schreiben könnt ihr aus dem Alltag abschauen. Das gilt auch für Dialoge – denn so erfahrt ihr, welche Leute sich aktuell wie unterhalten, was für Begriffe typisch sind, was sie während einer Unterhaltung tun usw. Dass man Gespräche nicht 1:1 in fiktive Dialoge umsetzen kann, sollte einem dabei allerdings auch immer bewusst sein.
Denn für Alltagsgespräche ist typisch, dass wir:
- uns wiederholen, Floskeln und Füllwörter benutzen
- nicht richtig zuhören, weil wir schon im Kopf haben, was wir erzählen wollen
- uns unterbrechen
- Umgangssprache benutzen, auch Dialekte oder Soziolekte
Dialoge sollten dagegen weniger Füllwörter und kaum Wiederholungen oder Floskeln enthalten. Insgesamt ist es gut, wenn sie straffer konstruiert sind und einen Subtext mitliefern. Natürlich müssen auch Figuren nicht immer ausreden und Themen konsequent zu Ende verfolgen, aber für die Lesenden muss sich schon ein Mehrwert aus der Unterhaltung ergeben. Also: Welche Dialogzeile keine Funktion hat, fliegt raus.
Nach einem guten Dialog ist etwas im Text anders – wie bei jeder sinnvollen Szene.
2. Kommunikationsgrundlagen kennen
Was die beiden auf dem Foto sich wohl zu sagen haben? Eigentlich nicht die entscheidende Frage, sondern: Wie das Gesagte wohl beim Gegenüber ankommt?
Ein Standardmodell in der Kommunikationsforschung sind die vier Seiten einer Nachricht von Friedemann Schulz von Thun.
- Selbstauskunft (Offenbarung des Senders)
- Sachebene
- Beziehungsebene
- Appellebene (Erwartung des Empfängers)
Alle verbinden etwas mit dem, was sie sagen. Es kann eine reine Information sein, eine Aufforderung (die gar nicht als Aufforderung formuliert ist, sondern als Frage oder Aussage), etwas über sich selbst oder die Beziehung zum anderen. Das klassische Beispiel dafür ist ein Paar im Auto an der Ampel und der Hinweis: “Es ist grün.” Reine Information, die Aufforderung, loszufahren, die Selbstauskunft ‘ich habe alles im Blick’ oder die Beziehungsinfo ‘ich kümmere mich um dich’ – alle vier Seiten schwingen in unterschiedlicher Stärke mit und können in unterschiedlicher Ausprägung gehört werden. Natürlich können auch ganz andere Dinge gehört werden, zum Beispiel auf der Beziehungsebene ein ‘alleine bekommst du nichts hin’.
Fürs eigene Schreiben ist die Frage wichtig: Auf welcher Ebene sprechen bzw. hören meine Figuren hauptsächlich? Sensible Figuren hören gerne nur die Beziehungsebene, extrovertierte nutzen die Selbstoffenbarung, indem sie ihr Wissen zeigen, “platte” oder kummunikativ geschickte Figuren blenden die Beziehungsebene aus oder lassen andere bewusst ins Leere laufen.
So können Konflikte entstehen, wenn die sprechende und die hörende Figur die Nachrichtenseiten unterschiedlich gewichten. Und es lassen sich spannende Figurenbrüche entwickeln – wenn zum Beispiel jemand eher auf einer anderen Ebene kommuniziert als die soziale Rolle verlangt.
3. Individuelle Sprechermerkmale finden
Figuren sollten unverwechselbar sein. Das gilt für ihre Charaktereigenschaften, für ihr Äußeres, für ihre Rolle in der Geschichte und ihre Entwicklung. Ihre kleinen Macken machen sie liebenswert – sowohl die strahlende Heldin, die dadurch ein bisschen realistischer wirkt, als auch den durchtriebenen Schurken, bei dem es so auch ein wenig menschelt.
Zur Individualität tragen auch charakteristische Sprachmerkmale bei. Das können typische Ausdrücke oder sprachliche Marotten sein. Wichtig: nicht übertreiben! Ganze Szenen im Dialekt oder mit falscher Grammatik ermüden beim Lesen. Individualität wirklich nur als Marker nutzen.
Passende Sprechermerkmale finden sich durch Alter, Bildung, regionale und soziale Herkunft, Berufswahl usw. Viele Menschen benutzen bestimmte Sätze immer wieder – solche prägnanten Wiederholungen lassen sich gut im Alltag ablauschen. Manche verdrehen zum Beispiel immer Sprichwörter, der Typ in der Midlife-Crisis biedert sich vielleicht durch Jugendsprache an, wer viel liest, hat vermutlich einen großen Wortschatz, eine Handwerkerin nutzt andere Begriffe als eine Tierärztin, mit welchen Fernsehserien man aufgewachsen ist, bestimmt, welche Sprüche man zitiert, …
Schöner Nebeneffekt: Wenn Figuren individuell sprechen, braucht es keine ausufernden Redeeinleitungen, um klarzustellen, wer gerade spricht.
4. Redeeinleitungen sorgsam auswählen
Inquit-Formeln sind ein ewiges Streit-Thema. Letztlich ist es Geschmackssache, ob die Figuren nur etwas “sagen, fragen und antworten” oder ob sie auch “stöhnen und flüstern” oder gar Sätze “nicken und lachen”. Allerdings entscheidet der Geschmack der Lesenden darüber, ob ein Text gut ankommt, und nicht der eigene – also überlegt gut, welche Redeeinleitungen ihr nutzen möchtet.
Ich bin eindeutig Fan von knappen, klassischen Redeeinleitungen. Meiner Meinung nach kann man nichts Gesprochenes “lachen”. Man kann höchstens beim Sprechen lachen. Allerdings wäre ich auch damit zurückhaltend, denn damit landet ihr schnell bei Adjektiven und/oder Adverbien – noch so ein Reizthema. Unsinn ist, eine Figur etwas “laut brüllen” zu lassen – denn wie soll jemand etwas leise brüllen? Doppelungen sind also auf jeden Fall zu vermeiden. Ob jemand dagegen etwas mit knarziger Stimme sagt, geht eher in Richtung Geschmacksfrage – das kann Informationen über die Figur liefern oder auch die Textstelle überfrachten.
Eine Faustregel ist: Je klassischer der Text, desto schlichter die Redeeinleitung. Je nach Genre werden Redebegleitungen variantenreicher eingesetzt – in Kinderbüchern und Unterhaltungsliteratur wie Thrillern oder Liebesromanen.
5. Keine “talking heads”
Talking heads – so nannte Hitchcock einen reinen Schlagabtausch zwischen Figuren, denen man bei der Unterhaltung ähnlich wie einem Tennisspiel folgen muss. Stattdessen sollten die Figuren wie im realen Leben beim Reden auch etwas tun: ihre Mimik und Körpersprache spielen lassen, sich (im Raum) bewegen, Dinge erledigen usw. Das gilt insbesondere, wenn eine Figur einen höheren Redeanteil hat als die andere(n) beteiligte(n). Denn Monologe sind nicht nur im wahren Leben schwer auszuhalten …
Wie bei allem gilt es auch hier, ein sinnvolles Maß zu finden. Figuren, die nach jedem Satz etwas trinken, das Fenster öffnen und schließen, die Kerze auf dem Tisch verrücken und die Augenbrauen oder die Schultern hochziehen, gehen einem ebenso auf die Nerven wie seitenlange Monologe oder Ping-pong-Dialoge.
6. Infos bewusst einsetzen
Wenn sich Menschen unterhalten, teilen sie sich nicht gegenseitig Dinge mit, die sie schon wissen. Daran solltet ihr auch beim Dialogeschreiben denken. Alarmsignale sind Formulierungen wie
- … wie du weißt …
- … wie schon gesagt …
- … doch … (“Der Kuchen ist doch für Oma.”)
- … ja … (“Inge hat ja die Praxis eröffnet.”)
Diese Wörter lassen sich gut über die Suche-Funktion des Schreibprogramms ausfindig machen. So stoßt ihr schnell auf Stellen mit Informationen, die eigentlich an die Lesenden gerichtet sind und im Dialog untergebracht werden sollen.
Natürlich kann Informationsvermittlung eine Funktion von Dialogen sein. Dann geht es aber bitte geschickter an. Eine typische Möglichkeit ist, dass sich eine Figur mit einer Expertin unterhält. So lässt sich Wissen organisch in einem Gespräch vermitteln. Oder eine Figur ist genervt, weil sie Dinge einer anderen Figur gegenüber immer wiederholen muss. Oder …
7. Doppelungen von Redeinhalt und Beschreibungen vermeiden
“Wann wolltest du mir den Brief eigentlich zeigen? Ich bin so wütend auf dich!”, schrie Hanno geifernd sie mit zornrotem Kopf an und schmiss ihr den Brief vor die Füße.
Kein brillantes Beispiel, aber es zeigt, worauf ich hinauswill. Wenn eine Figur zornrot angelaufen ist, ist sie meistens wütend. Wenn jemand schreit, auch. Wenn jemand sagt, dass er wütend ist, ist er meistens auch erregt, spricht also laut. Dass es um einen Brief geht, erfahren wir sowohl in der wörtlichen Rede als auch in der Erzählpassage. Diese Textstelle lässt sich also sehr gut verschlanken.
Solche Schnitzer im eigenen Text zu finden, ist gar nicht so leicht. Da hilft nur: aufmerksam noch mal alle Dialoge und ihre Umgebung überprüfen. Fragt eine Figur, ob eine andere etwas trinken möchte und hält ihr auffordernd die Teekanne entgegen? Sagt eine Figur, dass sie so aufgeregt wegen des bevorstehenden Konzertes sei und fuchtelt wild mit den Tickets vor der Nase einer anderen Figur herum? Dann würde ich mich immer noch einmal an diese Zeilen setzen.
8. Verhältnis von Dialogen und erzählenden Passagen abwägen
Dialoge sind das Salz in der Geschichtensuppe. In einem Seminar sagte mal ein Verlagslektor, dass er Manuskripte zunächst durchblättert und wenn auf den ersten drei Seiten kein Dialog steht, sofort aussortiert. So muss es natürlich nicht immer laufen. Aber es ist dennoch ein guter Tipp, mal durch den eigenen Text zu scrollen und zu schauen, wo erzählende Passagen vielleicht zu lang werden oder wo Figuren seitenlang nur miteinander reden. Wie bei allen handwerklichen Fragen kommt es auch hier auf ein gesundes Maß an.
Insbesondere Gruppenunterhaltungen sollten nicht zu lang werden, weil es häufig anstrengend ist, sie zu lesen. Natürlich könnt ihr durch individuelle Sprachmerkmale und Redeeinleitungen Klarheit schaffen, wer was sagt, aber dennoch müssen Lesende solchen Passagen sehr aufmerksam folgen, um nicht den Überblick zu verlieren.
9. Die formalen Gestaltungsregeln beachten
In Manuskripten ist es üblich, jeweils eine neue Zeile zu beginnen, wenn eine andere Figur spricht. Das schafft Übersicht.
Und so funktioniert die korrekte Gestaltung von Dialogen mit Anführungszeichen und Kommata:
- „Ich komme mit“, sagte Nina.
- Erin sagte: „Mir wird das alles zu viel.“
- „Warte!“, rief Anuk.
- „Was soll das?“, fragte Edward.
- „Kennst du“, Holger zog einen schmalen Band aus dem Regal, „schon die neue Ausgabe?“
- „Kennst du die?“ Holger zog einen schmalen Band aus dem Regal. „Das ist die neue Ausgabe.“
10. Mehr übers Dialogeschreiben lernen
Lest Theaterstücke oder schaut Sitcoms – da erfahrt ihr viel darüber, wie gesprächslastige Geschichten funktionieren. In vielen Schreibratgebern gibt es Kapitel zum Dialogeschreiben. Ansonsten findet ihr auch im Internet noch viele weitere Tipps:
- 7 Todsünden beim Dialogeschreiben von Marcus Johanus
- Tipps fürs Dialogschreiben von Andreas Schuster von Schreiben und Leben
- Dialogtipps von Jacqueline Vellguth auf Schriftsteller-werden
© Fotos: Seminarsituation von Katja Angenent; Plakate von Maike Frie; Skulptur in Oslo von Sebastian Frie
Wo habt ihr schon tolle Tipps zum Dialoge-Schreiben gelesen? Ich freue mich über eure Kommentare!
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